Insellicht # 16
Dinas Augen füllen sich mit Tränen – wird ihr Traum im Licht der Realität zerbrechen?
Was bisher geschah:
Dina hat sich Hals über Kopf in einen jungen Mann verliebt, dem sie zufällig am Strand begegnet ist – während Mingtian mit seiner stillen, charmanten Art längst einen Platz in ihrem Herzen gefunden hat. Doch bevor sie ihre Gefühle sortieren kann, bringt Tika neue Nachrichten: Victors Sohn ist aufgetaucht. Bambi.
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Mingtian trat mit den zwei dampfenden Tonbechern in der Hand aus seinem Laden. Die Nachmittagssonne stand schräg, warf lange, warme Schatten auf den Boden, und der Wind spielte sacht mit den Fransen des alten Vorhangs an der Tür. Dina ging vor ihm, den Kopf gesenkt, erschöpft, verletzt, ihre Schultern eingefallen.
Mingtian stellte die beiden Tonbecher ab – der kräftige Duft des frisch gebrühten Kaffees mischte sich mit dem Harzgeruch der Umgebung. Er deutete auf den Platz gegenüber, Dina setzte sich langsam, noch immer mit rot-verweinten Augen, aber dankbar über die stille Geste. Der Schatten der Überdachung schützt sie vor der heißen Nachmittagssonne, und für einen Moment schien die Welt für beide stillzustehen. Dina nahm vorsichtig einen Schluck. Der Kaffee war stark, dunkel, und trug etwas Tröstliches in sich.
Mingtian betrachtete Dina, wie sie hier am Tisch saß. Den Tisch, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte, damals, als sie in seinem Leben aufgetaucht war. Es schien ihm bereits eine Ewigkeit her zu sein. Er hatte das Gefühl, Dina sei schon immer ein Teil der Insel gewesen - ein Teil von ihm.
Sie war so schön. Selbst jetzt, mit verweinten Augen und rotem Gesicht. Vielleicht gerade deshalb. Weil sie so echt war, so ungeschützt. Es gab Momente, da sah er sie einfach nur an — wie jetzt — und fragte sich, wie ein Mensch so viel Licht in sich tragen konnte. Ihr Gesicht, sonnengeküsst, mit diesen feinen Sommersprossen, wirkte wie gemalt. Ihre Augen, halb verborgen unter dem Schatten des Lederhuts, waren lebendig, neugierig und doch so sanft. Mingtian hatte viele Frauen gesehen, doch keine wie sie.
Sie war nicht laut, nicht fordernd, nicht überheblich. Sie war einfach da. In ihrer ganzen Echtheit.
Die Art, wie sie lachte, offen und ungefiltert. Die Art, wie sie sprach, mit Herz und einer klaren Meinung. Und dann dieser Blick – als könnte sie durch Menschen hindurchsehen, als würde sie etwas in ihm erkennen, etwas, das er selbst kaum greifen konnte.
Dina war wie das Meer bei Sonnenaufgang – ruhig, schön, manchmal wild, aber nie ohne Tiefe. Er wusste nicht, wie er ihr sagen sollte, was er für sie fühlte. Also schwieg er. Aber sein Herz sprach jedes Mal, wenn er in ihrer Nähe war. Und in Momenten wie diesem wurde ihm klar: Er würde alles tun, um sie zu beschützen. Auch wenn sie sich nie ganz für ihn entscheiden sollte.
Er stellte ihr den Becher hin und setzte sich gegenüber. Ihre Finger umfassten den Ton, als klammerten sie sich daran. Mingtian schwieg. Reden fiel ihm schwer. Nicht, weil er nichts fühlte. Sondern weil er zu viel fühlte. Und nicht wusste, wie man das sagte. Er war kein Mann der großen Worte. Nur der Taten.
Dina erzählte mit gebrochener Stimme, was geschehen war. Früh am Morgen war sie mit Hoffnung im Herzen auf den Markt gegangen. Sie hatte ihr Gemüse aus der ersten Ernte sorgsam verpackt, ihre Körbe mit Bananenblättern ausgelegt, alles liebevoll arrangiert – Tomaten, Süßkartoffeln, grüne Bohnen, Zitronengras und ein paar frische Kräutersträußchen. Sie hatte jedes Stück mit Hingabe gepflegt. Es war nicht nur Gemüse, es war ihr ganzer Stolz. Dina war überglücklich, als die ersten interessierten Kunden vor ihrem Marktstand stehen blieben und mit Bewunderung ihre Waren betrachteten. Dann jedoch – wie aus dem Nichts – erschien eine Frau in offizieller Uniform. Die Kontrolleurin der Marktabteilung. Sie verlangte, die Registrierung für den Stand und den Ausweis von Dina zu sehen. Dina übergab ihr das Geforderte. Stumm blätterte die Kontrolleurin mit strengem Blick in den Papieren.
Ohne große Worte hatte sie Dina zur Seite genommen, ein Formular gezückt und erklärt, dass Dina mit ihrem Visum keine Waren verkaufen durfte. Ohne Aufenthaltserlaubnis war das strafbar. Sie würde von einer Anzeige absehen, aber Dina musste den Verkauf umgehend einstellen. Und dann... das Schlimmste. Alle Körbe mit den Waren wurden beschlagnahmt. Einfach so. Vor allen anderen.
„Ich habe ihr alles gezeigt… die Quittung, die Standnummer. Sie hat nicht mal richtig hingeschaut,“ flüsterte Dina jetzt und wischt sich die Tränen weg.
„Es war meine ganze Ernte, Mingtian…“
Als sie ihm von dem Visum erzählt hatte, wurde sein Blick schärfer. „Du darfst also gar nicht arbeiten? Auch nicht im Resort?“
Dina schüttelte nur den Kopf. Ein Kloß in seiner Kehle. Nicht aus Wut – sondern aus einem anderen, fremden Gefühl. Schuld vielleicht. Oder Sorge. Oder beides.
„Warum hast du mir das nicht gesagt?“ fragte er leise. Sie zuckte mit den Schultern. „Ich wollte dich nicht belasten.“ Mingtian ballte unter dem Tisch die Faust. Natürlich. So war sie. Stolz und aufrecht, trotz allem. „Ich kann helfen,“ sagte er dann ruhig. „Ich kenne Leute bei der Behörde. Wenn du willst… ich rede mit ihnen.“ Dina sah ihn an, überrascht, fast hoffnungsvoll. „Meinst du wirklich, du kannst etwas tun?“ Er nickte. „Es ist kein Problem.“
Was er ihr nicht sagte: Dass es in Ibu Tanah nie um Gesetze ging. Sondern nur um die richtigen Umschläge zur richtigen Zeit. Dass seine Familie seit Jahrzehnten mit genau diesen Leuten Geschäfte machte. Aber das konnte sie nicht wissen. Sollte sie nicht wissen.
Er würde es regeln. Für sie. Weil er sie liebte. Auch wenn er noch nicht wusste, wie er es ihr je sagen sollte. Mingtian legt den Kopf leicht zur Seite und betrachtet Dina für einen Moment. Seine dunklen Augen musterten sie mit einer Mischung aus Mitgefühl und stillem Nachdenken. Dann stellte er seine Tasse auf den Tisch und sagte ruhig: „Das ist nicht deine Schuld, du hast die KITAS beantragt und den Stand angemeldet. Du willst alles richtig machen. Dass die Behörden hier langsam arbeiten, ist bekannt.“
Dina saß da, den warmen Tonbecher fest mit beiden Händen umklammert, als hielte sie sich daran fest. Ihre Schultern zuckten leicht, ein letztes, leises Schluchzen entwich ihr. „Ich hab mich so angestrengt, Mingtian. Ich hab alles gegeben. Und jetzt fühlt es sich an, als wäre ich… als wäre ich gar nicht willkommen.“ „Du bist willkommen, Dina,“ antwortete er leise. „Vielleicht nicht bei der Behörde. Aber bei den Menschen hier. Und bei mir.“
Mingtian sah Dina an, wie sie langsam die Hände um den warmen Tonbecher legte, einen Schluck nahm und dann still zur Promenade und zum Strand blickte. Die Nachmittagssonne fiel golden durch das Blätterdach, das Licht flackerte über ihr Gesicht. Für einen Moment war alles ruhig. Und in dieser Stille spürte er den Schmerz seiner Erinnerung, wie eine Welle, die sich heimlich aufbaut und dann plötzlich brach.
Eine Frau wie Dina war ihm noch nie begegnet. So zart, so verträumt – und gleichzeitig so unbeirrbar. In ihrer Offenheit lag eine Stärke, die ihn zugleich berührte und verunsicherte. Er war 27 Jahre alt. Kein Junge mehr, aber manchmal fühlte er sich genau so: wie der kleine Junge, der er damals war. Am Tag der Beerdigung seines Vaters. Das Bild war verschwommen in seinem Gedächtnis, wie durch Wasser betrachtet – aber er erinnerte sich an die Stimmung. Die schweren Schritte der Männer, das dumpfe Grollen der Zeremonie Trommeln, das Salzwasser in seinen Augen, das nicht nur vom Wind kam. Damals hatte er nicht verstanden, was Tod wirklich bedeutet. Nur, dass sein Vater – dieser große, strenge, unnahbare Mann – nie wiederkommen würde. Und dass seine Mutter jetzt anders war.
Stolz. Würdevoll. Und innerlich zerrissen.
Seine Mutter hatte keine Träne in der Öffentlichkeit gezeigt. Doch nachts hörte er sie manchmal leise weinen. Er hatte gelernt, stark zu sein. Nicht um seiner selbst willen – sondern für sie. Für seine Mutter Huifen.
Dina erinnerte ihn daran. An diese Stärke im Herzen einer Frau. Ihre Verletzlichkeit machte sie nicht schwach – sie machte sie aufrecht. Und wie bei seiner Mutter, spürte er bei Dina diesen Drang, sie zu beschützen. Nicht aus Mitleid. Sondern aus Ehrfurcht.
Er vermisste Victor. So sehr. Der einzige Mann, der ihn je gesehen hatte, wie er war – und nicht wie er sein sollte. Victor war laut gewesen, wild, manchmal unberechenbar, aber immer da. Immer ehrlich. In seiner Brust spannte es sich. All das, was unausgesprochen geblieben war. Die Leere, die Victor hinterlassen hatte. Vielleicht war es das, was ihn zu Dina hinzog. Vielleicht liebte er an ihr alles, was er verloren hatte – und alles, was er sich nie zu wünschen gewagt hatte.
Er sah sie an. Und in diesem Blick lag ein Versprechen, das er selbst noch nicht auszusprechen wusste. Doch sein Herz kannte es längst.
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